22

Marlie wandte sich zu der Fernsehreporterin. »Ja, ich bin Marlie Keen«, sagte sie kalt.

»Miss Keen, arbeiten Sie mit der Polizei von Orlando zusammen, um zu helfen, den Mörder zu fassen?«

»Jawohl.« Das eine Wort war alles, was sie sagte, die Empörung schnürte ihr die Kehle zu.

Dane streckte die Hand aus, als wolle er die Kamera wegschieben, doch Marlie verwehrte es ihm. Cheri Vaughn ließ sich nicht abschrecken: »Auf welche Weise haben Sie der Polizei geholfen, Miss Keen?«

»Ich habe ihnen eine Beschreibung des Täters geliefert.«

»Woher wussten Sie denn, wie er aussah? Hatten Sie eine übersinnliche Eingebung ?«

Wieder trat Dane vor sie, sein Gesicht war verzerrt. Marlie schlüpfte an ihm vorbei. Das war es doch, was er gewollt hatte, oder etwa nicht? Sie würde auspacken, so viel sie konnte. »Er ist bestimmt kein Traummann, wenn man nicht zufällig Alpträume liebt«, sagte sie mit den Worten von Esther. »Man kann ihn als Wurm, als Feigling bezeichnen, der seine Freude daran hat, Frauen zu quälen ...«

»Das reicht!« brüllte Dane. Er schob die Kamera beiseite und griff mit der anderen Hand nach Marlies Arm. Hart versenkten sich seine Finger in ihre zarte Haut. »Sie werden jetzt hier verschwinden, und zwar auf der Stelle.«

Cheri Vaughn blinzelte, sie sah sowohl verängstigt als auch begeistert aus. Marlie brauchte nicht zu raten, wie die Interviewerin sich fühlte, sie wusste es. Sie war hierhergekommen aufgrund des Versprechens interessanter Neuigkeiten; statt dessen hatte sie eine Sensation aufgedeckt, die für sie eine Goldmine war. Ihr Stellenwert bei der Fernsehstation würde in schwindelerregende Höhen steigen.

Dane hielt noch immer Marlies Arm fest, jetzt schleppte er sie zum Wagen, schob sie auf der Fahrerseite hinein und schubste sie dann auf den Nebensitz, um Platz für sich selbst zu schaffen. Er schlug die Autotür hinter sich zu und drehte den Zündschlüssel. »Zum Donnerwetter, was hast du damit bloß bezweckt?« brachte er zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor.

Sie fühlte seine Wut, doch schüchterte es sie nicht ein. »Genau das, was du von mir wolltest«, antwortete sie mit Bitterkeit in der Stimme. »Ich habe die Aufmerksamkeit des Mörders auf mich gezogen. War das nicht der Sinn dieser ganzen Aktion?«

Dane überlegte, ob er leugnen sollte, doch dann sah er ein, dass es keinen Zweck hatte. Sie würde ihm sowieso nicht glauben, und im Augenblick war er auch nicht Herr seines Zorns. »Seine Aufmerksamkeit zu erregen vielleicht, aber nicht, ihn so rasend zu machen, dass er in seiner Wut weitermordet!«

»Wenigstens kannst du jetzt sicher sein, dass er hinter mir her sein wird. Er wird mir meinen Angriff auf sein Ego niemals verzeihen.« Sie blickte nach vorn und würdigte ihn keines Blickes.

Dane rang um seine Beherrschung. Er hatte gewusst, dass sie niemals als Frau mit übersinnlichen Fähigkeiten entlarvt werden wollte; doch er hätte ihr nicht den raschen Durchblick zugetraut, dass er die ganze Angelegenheit arrangiert hatte oder dass sie so reagieren würde, indem sie den Mörder herausforderte.

»Woher hast du das gewusst ?« fragte er nach einer Weile, und der ganze Mann bebte vor Missbilligung »Hast du etwa meine Gedanken gelesen?«

»Diese Angst wirst du wohl nie los, wie?« höhnte sie. »Du kannst dich beruhigen, dein Kopf ist viel zu massiv, als dass ich auch nur einen Schimmer deiner Gedanken herausbekäme. Aber bei der Reporterin war das anders. Sie hätte sich ebenso gut ein Schild umhängen können. Warum hast du sie anonym angerufen ?«

»Sie kennt mich, kennt meine Stimme. Außerdem war ich ihr noch einen Gefallen schuldig für einige Informationen, die sie mir im letzten Jahr zukommen lassen hat. Diese Geschichte wird ihr beim Sender sehr helfen.«

»Um Himmels willen, wenn es ihr hilft, dann kannst du mich gleich den Wölfen zum Fraß vorwerfen«, sagte Marlie todmüde. Jetzt, nachdem der erste Schock des Verrats und der Bloßstellung nachließ, ergaben sich einige Aspekte, von denen keiner besonders schön war. Sie hatte sich Sorgen gemacht über Danes Mangel an Bindung zu ihr, wegen ihres Scheiterns, über ihre Beziehung zu reden - jetzt wusste sie, warum. Für Dane gab es keine Bindung, er hatte sich ganz einfach die Zeit vertrieben, bis der Mörder noch einmal zuschlug, damit er seinen Plan ausführen konnte. Er hatte eine hervorragende Partie ausgeheckt, hatte diese Szene heute eingefädelt. Sie dachte daran, was es sie gekostet hatte, zu diesem Haus zu gehen und wurde noch aufgebrachter.

»Ich habe dich nicht den Wölfen zum Fraß vorgeworfen«, fuhr er sie an

»Ach, wirklich nicht? Du hast mich als Köder benutzt.«

»Verdammt, er wird nicht einmal in deine Nähe kommen. Denkst du etwa, ich gehe ein solches Risiko ein? Ich habe bereits eine Polizistin ausgesucht, die deinen Platz einnehmen wird. Sie ist schon in deinem Haus. Du brauchst nur noch ein paar Sachen einzupacken, dann werde ich dich an einen sicheren Ort bringen, bis alles vorüber ist.«

»Nein«, erklärte sie genauso unbeeindruckt wie zuvor.

Dane schlug mit der Faust auf das Lenkrad. »Du darfst in dieser Sache nicht gegen mich antreten, Marlie. Das geht nicht mehr.«

»Ich werde nicht aus meinem Haus ausziehen.« Sie dachte daran, tagelang irgendwo eingesperrt zu sein, oder sogar Wochen, mit Polizisten, die sich abwechselten in der Bewachung, und sie konnte das wirklich nicht mehr ertragen. Ihre Nerven waren sowieso schon zum Zerreißen gespannt, das wäre der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brächte.

In aller Ruhe verkündete er: »Übrigens wäre auch Schutzhaft möglich, und du bleibst in einer Zelle, wenn dir das lieber ist. Aber ich glaube kaum, dass dir das gefallen würde.«

Sie wirbelte zu ihm herum, seine Drohung brachte ihre Wut auf den Siedepunkt. »Soweit würdest du dich wohl kaum vorwagen, Hollister! Ich kann dich zwar nicht zurückhalten, aber ich verspreche dir, dir dein Leben zur Hölle zu machen, wenn du das tust.«

»Du meine Güte, lass doch mal deinen normalen Verstand walten. Du kannst nicht in deinem Haus bleiben. Oder hältst du mich wirklich für fähig, dich als den sprichwörtlichen Lockvogel zu benutzen?«

»Warum nicht? Warum willst du das abstreiten? Mich zu benutzen war doch schon die ganze Zeit über deine Idee, nicht wahr? Persönlich finde ich allerdings, dass du ein wenig zu weit gegangen bist, indem du bei mir eingezogen bist; aber du konntest nicht auf mich verzichten, für den Fall, dass ich noch eine weitere Vision bekäme und damit der Ball ins Rollen geriete.«

Sein Kopf schnellte zu ihr herum. »Was willst du damit sagen?«

»Ich will damit sagen, wenn du mich gefragt hättest, Detektiv, dann wäre ich mit deinem Plan vielleicht einverstanden gewesen, den Mörder auf diese Art zu fassen. Ich hasse es, den Medien zum Fraß vorgeworfen zu werden, denn das wird mein Leben ein weiteres Mal zerstören, aber ich hätte mitgemacht. Du brauchtest dafür nicht deinen Luxuskörper zu opfern.«

Erbost trat er auf die Bremse, der Wagen hielt mit einem solchen Ruck, dass sie nach vorn geschleudert wurde. Glücklicherweise war niemand hinter ihnen, denn sonst hätte es einen Auffahrunfall gegeben. Er war jetzt genauso in Hitze wie sie. »Dass ich mich um dich bemüht habe, steht auf einem ganz anderen Blatt!«

»Ach, tatsächlich? Ich habe mich von Anfang an gewundert, was wohl dahintersteckt. Kannst du mir offen und ehrlich versichern, dass du diesen Plan nicht schon entworfen hast, ehe du bei mir auf der Matte standest ?«

Seine Kinnladen bewegten sich. »Nein.« Verdammt, wenn es eine Lüge war...

»Das glaube ich aber nicht.«

»Dass ich bei dir eingezogen bin, gehörte nicht zu meinem Plan.«

»Es war aber zu verlockend, um zu widerstehen, nicht wahr ?« bohrte sie weiter.

Derb umfasste er ihre Schultern. »Da hast du verdammt recht. Ich habe dich gewollt, und als sich die Möglichkeit ergab, mich dir zu nähern, habe ich sie ergriffen. Oder denkst du etwa, ich hätte dir meine Erregung jedesmal vorgespielt ?«

»Das beweist gar nichts. Ich glaube, dass du schon eine Erektion bekommst, wenn eine Fliege auf deinem Ding landet.« Sie versuchte, sich aus seinem Griff zu befreien, doch er packte nur noch fester zu.

Dane musste sich mit Gewalt zusammenreißen. »Unsere Beziehung hat damit nicht das geringste zu tun. Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.«

»Wie du meinst«, sagte sie gedehnt und imitierte seinen Akzent.

»Verdammt, Marlie ...« Hinter ihnen hupte jemand ungeduldig, und Dane schoss einen Blick in den Rückspiegel. Einige Wagen hatten hinter ihnen gehalten. Er legte den ersten Gang ein. »Wir werden darüber diskutieren, während du deine Sachen packst.«

»Mein Haus bleibt mein Haus!« Ihre Stimme klang hart wie Stahl. »Ich werde morgen zur Arbeit gehen, wie immer. Aber wahrscheinlich hast du mir auch das verdorben. Sicher werfen sie mich raus, aber ich will es trotzdem versuchen.«

»Sie werden dir nicht kündigen!«

Marlie starrte aus dem Fenster. Also hatte er geglaubt, er könne sie als Köder für seine Falle benutzen und hinterher wäre alles wieder in Ordnung. »Apropos Sachen: Du wirst jetzt deine packen!«

Ruckartig wendete er seinen Kopf zu ihr: »Was ?« Er konnte leider nicht mit ihr zusammen an den sicheren Ort ziehen.

»Ich möchte, dass deine Sachen aus meinem Haus verschwinden.«

Zum ersten Mal drang ihre entschlossene Stimme durch den Nebel der Entrüstung, der sich auf sein Gehirn gelegt hatte. Marlie war nicht nur verärgert, eine tiefe, kalte Wut hatte sie ergriffen, und sie hatte ihm kein einziges Wort von seinen Äußerungen geglaubt. Sein Magen zog sich zusammen. Er holte tief Luft. »Okay. Vielleicht ist es im Augenblick das Beste. Aber ich werde dich, sooft ich kann, an diesem sicheren Ort besuchen ...«

»Ich werde an keinen sicheren Ort gehen. Verstehst du meine Sprache nicht?«

»Oder du begreifst es nicht«, meinte er bedächtig. »Liebling, du hast in der ganzen Angelegenheit keine Wahl. Du kannst nicht in deinem Haus bleiben.«

»Dann werde ich in ein Motel ziehen oder mir ein Apartment mieten. Ich werde mich wegen deiner Machenschaften nirgendwo einsperren lassen. So gut es geht, halte ich mich an einen normalen Alltag: Das heißt zur Arbeit gehen, falls ich meinen Job behalte, meine Kleider zur Wäscherei bringen, einkaufen und Kinobesuche. Ich habe die ersten zweiundzwanzig Jahre meines Lebens wie eine Gefangene gelebt. Und ich will verdammt sein, wenn ich mich von dir wieder einsperren lasse.«

Dane fuhr sich mit der Hand durchs Haar. Gütiger Himmel, er hatte nicht erwartet, dass sie sich so sehr gegen ihn wehren würde. Das war nicht die Marlie, die er kannte, und irgendwie hatte er auch nicht ihr Temperament in Betracht gezogen. Die Frau, die neben ihm saß, brodelte wie ein Vulkan, und sie schien fest entschlossen, in keiner Sache, die er vorschlug, mit ihm zusammenzuarbeiten. Deshalb hielt er es für geraten, den Mund zu halten, wenigstens vorläufig, um nicht alles noch schlimmer zu machen.

Den Rest des Weges herrschte Schweigen. Als sie vor Marlies Haus anhielten, stand ein fremdes Auto in der Einfahrt, und Trammells Sportwagen parkte vor dem Haus. Marlie stieg aus und ging hinein, ohne Dane eines Blickes zu würdigen.

Trammell und Grace waren beide da, zusammen mit einer jungen Polizistin, die Marlie in Größe und Haarfarbe ähnelte. Trammell stand auf, als Marlie hereinkam, er warf nur einen Blick auf ihr Gesicht. »Oh-oh«, war alles, was er herausbrachte.

Dane, der hinter ihr das Haus betreten hatte, knetete sich den Hals und erstickte damit jeden Kommentar.

Marlie hatte sich genau rechtzeitig umgedreht, um seine Handbewegung mitzubekommen. Sie warf Trammell einen Gletscherblick zu. »Warst du auch daran beteiligt?«

Er trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen. »Erst seit gestern.« Bis jetzt hatte er Marlie als eine Frau eingeschätzt, die verletzlich war und deshalb beschützt werden musste; doch in ihren tiefblauen Augen lag ein Ausdruck, der ihn frösteln ließ. Dane hatte ihm von Gleen erzählt, doch bis zu diesem Augenblick konnte er sich kaum eine Marlie vorstellen, die gefesselt und hilflos einem verrückten Mörder ihre Verachtung ins Gesicht geschleudert hatte. »Du scheinst nicht gerade erfreut zu sein.«

»Ein wenig beunruhigt«, meinte sie, und ihre Stimme troff vor Ironie. »Ich habe den Angriff eines Verrückten mit einem Messer knapp überlebt - deshalb stört es mich ein wenig, als Köder für einen weiteren zu dienen.«

Dane zuckte zusammen. So hatte er die ganze Sache noch gar nicht gesehen. »Du wirst völlig abgeschirmt sein«, sagte er. »Glaubst du etwa, ich hätte das getan, wenn für dich ein Risiko bestünde?«

Sie legte den Kopf ein wenig schief und betrachtete ihn. »Ja«, sagte sie schließlich, dann ging sie in ihr Schlafzimmer.

Trammell pfiff leise durch die Zähne. »Ich habe das Gefühl, es kriselt im Paradies.«

Grace warf Dane einen flammenden Blick zu. »Das sieht so aus«, meinte sie und folgte Marlie ins Schlafzimmer.

Die Polizistin, Beverly Beaver, saß auf der Couch und betrachtete sie unsicher. »Ist mein Einsatz erledigt?«

»Nein«, antwortete Dane. »Alles läuft wie geplant. Sobald ich Marlie untergebracht habe, komme ich zurück und helfe bei den Vorbereitungen. Wir haben Zeit genug, die Nachricht wird erst am Abend gesendet.«

»Aber wie wollt ihr die Reporter fernhalten?« fragte Beverly. »Der Kerl kommt doch gar nicht an mich ran, wenn Hunderte von Reportern und Fotografen vor dem Haus stehen.«

»Die Fernsehstationen werden es als einen großen Spaß inszenieren. Die Polizei wird sich dafür ausschelten lassen, und der Chef behauptet, dass man Marlies Aussagen untersucht und als unhaltbar abgewiesen hat. Aber der Mörder kennt die Wahrheit, und er wird kommen.« Er hielt inne. »Bist du sicher, dass du das übernehmen willst, Bev?«

»Ich bin sicher. In Größe und Aussehen bin ich ihr am ähnlichsten und ausgebildet in Selbstverteidigung. Eine Bessere als mich findet ihr nicht.« Ihre Stimme klang schicksalsschwer, aber Dane machte sich nichts vor, Beverly hatte den Ruf, eine Tigerin zu sein. Sie war ganz versessen darauf, diesen Lockvogel zu spielen - selbst wenn das bedeutete, dass sie den Mörder ganz nah an sich heranlassen musste, damit genug Anklagepunkte zustande kamen.

»Okay.« Er warf einen Blick zum Schlafzimmer. »Sie weigert sich, in ein sicheres Versteck zu verschwinden.«

»Aber das trifft uns doch nicht unvorbereitet«, wandte Trammell ein.

»Sag ihr das mal. Sie ist einverstanden mit dem Auszug hier, aber sie sagt, sie zieht entweder in ein Motel oder mietet sich ein Apartment. In ihrer Wut auf mich ist sie mit keinem meiner Vorschläge einverstanden.«

»Ich habe eine Idee. Vielleicht würde sie auf mich hören.«

»Versuch es bitte.«

Marlie blickte von der Tasche auf, in die sie gerade einige Sachen packte. Trammell schlenderte lässig in das Schlafzimmer. Grace half ihr, sie holte die Kleider aus dem Schrank und legte sie auf das Bett, damit Marlie sie zusammenlegen konnte. Dane lehnte im Türrahmen, sein Gesicht war umwölkt, und er wartete ab.

»Dane sagt, du lehnst sein sicheres Versteck ab«, begann Trammell.

»Das ist richtig.«

Grace warf ihr einen besorgten Blick zu. »Marlie, das wäre aber das Beste für dich.«

»Würdest du gern eingesperrt sein, am Ende sogar für Wochen? Mich macht das verrückt. Ich habe alles getan, um zu helfen, und ich lasse mich jetzt dafür nicht bestrafen.«

»Aber das ist doch keine Bestrafung«, versuchte Grace zu erklären. »Wir wollen nur, dass dir nichts passiert.«

»Der beste Richter dafür, ob es eine Strafe oder eine Notwendigkeit ist, ist derjenige, der es aushalten muss«, antwortete Marlie. »Ich mache mir nichts daraus, abgeschieden zu leben, es gefällt mir sogar. Aber ich kann es nicht ertragen, eingesperrt zu werden.«

»Ein Motel wird aber nicht sehr angenehm sein«, meinte Trammell. »Ich habe da eine Idee. Du brauchst noch immer Schutz, warum ziehst du also nicht in Danes Haus? Die Renovierung ist fertig, die Möbel sind gestern geliefert worden. Auf diese Art wirst du es gemütlich haben, und in der Nacht ist Dane bei dir.«

Sie musterte Dane mit Eiseskälte. »Das ist kein sehr guter Vorschlag. «

»Es ist der einzig realistische Ausweg«, gab Trammell zu bedenken und lächelte ihr gewinnend zu. »Ich weiß, es ist nicht die ideale Lösung; aber als Kompromiss könnte es klappen, wenn du einverstanden bist. Dane wird dich sicher nicht in Schutzhaft nehmen, aber ich kann dir sagen, dass der Chef das ohne mit der Wimper zu zucken anordnen wird, wenn er es für erforderlich hält.«

Wieder stieg Wut in Marlie auf und erstickte sie fast. Sie wollte nicht in Danes Haus wohnen, wollte nicht gezwungen sein, mit ihm auf Tuchfühlung zusammenzusein. Aber Trammell hatte leider recht, der Polizeichef kannte sie nicht, und er würde nicht lange zögern, sie zu ihrem eigenen Wohl einsperren zu lassen.

»Trammell irrt sich«, sagte Dane leise. Er hielt ihrem finsteren Blick stand. »Ich werde dich in Schutzhaft nehmen lassen. Du hasst mich vielleicht deswegen, aber ich werde es tun, wenn es sein muss Es ist immer noch besser, als dein Leben aufs Spiel zu setzen. Also, mein Schatz, entweder mein Haus oder das Gefängnis.«

Wenn er es so sagte, blieb ihr wirklich keine Wahl. Marlie bedankte sich bei Beverly, dass sie sich dieser Bestie entgegenwerfen wollte. Sie führte sie durchs Haus, um ihr alles zu zeigen, dann wurde es Zeit für sie. Anschließend bestand sie auf ihrem eigenen Wagen, daher bewegte sich kurz darauf eine regelrechte Karawane zu Danes Haus.

Letzterer hatte die Renovierung gründlich nachgerechnet und sich davon überzeugt, dass sein Geld vernünftig angelegt worden war. Die neuen Möbel erwiesen sich als schick und dennoch gemütlich, auch sein Wohnzimmer besaß jetzt den Anflug von Weite und Frische. All die Jahre war das einzige einigermaßen neue Möbelstück im Haus sein Bett gewesen. Er hatte das Doppelbett seiner Großeltern durch ein besonders großes Modell ersetzt. Nur Marlie zuliebe hatte er ihre karge Liegestatt in den letzten Wochen ertragen und sich ihretwegen damit abgefunden, dass seine Füße über den Bettrand ragten.

Doch wenn er sich der Illusion hingegeben hatte, seine herrliche Schlaflandschaft nun mit ihr teilen zu können, so wurde ihm diese sehr schnell ausgetrieben. Marlie brachte nämlich ihre Kleidung im neugestalteten Gästezimmer unter. Dennoch war er glücklich. Alles was zählte, war ihre Anwesenheit. Offensichtlich wollte sie mit ihm brechen, doch die Umstände arbeiteten gegen sie, und sie war zum Bleiben gezwungen. Er würde die Chance nutzen, die Wände, die sie um sich herum errichtet hatte, abzubauen.

Auch jetzt half Grace Marlie. Schweigend räumten sie die Sachen ein, dann begann Grace: »Du bist wirklich ganz schön wütend auf ihn, nicht wahr ?«

»Wütend ist gar kein Ausdruck. Er hat mich nicht nur hintergangen, sondern sich hauptsächlich wegen diesem Fall mit mir eingelassen.«

Grace blickte erschrocken auf. »Das kann nicht sein!«

»Wirklich nicht? Er hat nicht geleugnet, dass er damit liebäugelte, noch ehe er bei mir eingezogen ist.«

»Aber Alex platzt vor Schadenfreude, weil Dane so offensichtlich verrückt nach dir ist. Sicher weißt du doch, dass er dich liebt.«

»Sollte das der Fall sein, so hat er niemals davon gesprochen. Wir haben überhaupt nicht über unsere Beziehung miteinander geredet, nur über Sex. Ich beginne langsam zu glauben, dass das alles war, eben Sex. Er hatte von Anfang an seinen Plan, und als nette Zugabe war ich auch noch ganz akzeptabel im Bett.«

Grace dachte nach. »Ihr habt nie über eure gegenseitigen Gefühle gesprochen ?«

»Nicht ein einziges Wort. Ich habe ihn angerufen, als ich damals die Vision hatte; da ist er gekommen, hat für mich gesorgt und ist einfach geblieben. Als ich wieder zu mir kam, hängte er gerade seine Klamotten in meinen Schrank.«

»Verstehe. Alex hat schon bei unserer ersten Begegnung zugegeben, dass er eine Menge für mich empfindet«, murmelte Grace. »Dabei ist Alex der schüchternste Mann, den ich kenne.« Sie dachte eine Weile nach, dann sagte sie: »Du hast recht. Unter diesen Umständen musst du wirklich annehmen, dass Dane sich nur mit dir eingelassen hat, um dein Vertrauen zu gewinnen, und da ist er gleich frech bei dir eingezogen.«

»Alles in allem hat er mich ausgenutzt.«

Als Grace aus dem Gästezimmer kam, musterte auch sie Dane recht frostig. Trammell fing den Blick seines Partners auf und zuckte dann belustigt die Schultern. Dane fand das Ganze überhaupt nicht komisch. Er protestierte nicht, als die beiden gingen; je eher er und Marlie allein waren, desto eher konnte er damit beginnen, die Dinge wieder ins rechte Lot zu rücken. Himmel, was sollte er nur tun, wenn er ihre Beurteilung der Situation nicht ändern konnte?

Bei dem Gedanken, sie für immer zu verlieren, zog sich sein Magen in Panik zusammen.

Marlie kam schließlich aus ihrem Zimmer, um sich die Abendnachrichten anzusehen. Wie erwartet, war sie die Hauptattraktion.

»Der Sender WVTM hat heute erfahren, dass die Polizei von Orlando sich der Dienste einer Frau bedient, die über mentale Fähigkeiten verfügt; sie hilft ihnen bei der Suche nach dem Schlächter von Orlando! Unsere Reporterin Cheri Vaughn hat heute Nachmittag mit Miss Marlie Keen gesprochen, als sie und ein Beamter der Kriminalbehörde das Haus des letzten Opfers, Marilyn Elrod, in den Wildwood Estates verließen.«

Das Bild schaltete vom Studio zu dem aufgezeichneten Gespräch mit Marlie. Schweigend beobachtete Marlie die Szene, dann spottete sie: »Du hast deine Rolle wirklich perfekt gespielt. So, wie du ihr gesagt hast, sie solle verschwinden, und du dich vor mir postiert hast, sah es wirklich so aus, als wolltest du mich vor der Öffentlichkeit beschützen. Glaubst du, ich bin jemand, der sich im Fernsehen wichtig machen will?«

»Nicht unbedingt«, murmelte er. Wenigstens redete sie wieder mit ihm. Er hatte sich schon Sorgen gemacht, ob sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr mit ihm sprechen würde. Nein, sie hatte gar nicht so ausgesehen, wenigstens nicht für jemanden, der ein wenig Menschenkenntnis besaß. Zuviel mühsam kontrollierte Wut hatte in ihrem Gesichtsausdruck gelegen, zuviel tiefer Abscheu in ihrer Beschreibung des Mörders.

Die nächste Szene zeigte Bonness, der in der drückenden Hitze schwitzte und außerordentlich verlegen aussah. Dane hatte ihm gesagt, wie er sich verhalten sollte. Bonness gefiel der ganze Auftritt nicht, aber um etwas zu erreichen, musste er diese lästige Pflicht auf sich nehmen. Jawohl, Marlie Keen war mit ihnen in Verbindung getreten. Sie hatten sich aus taktischen Gründen alles angehört, was ihnen bei der Suche nach dem Mörder helfen könnte. Miss Keens Behauptungen ließen sich jedoch nicht erhärten, und die Polizei hatte die Zusammenarbeit mit ihr aufgekündigt.

Es wurde zurück ins Studio geschaltet. Der Sprecher erlaubte sich ein paar mitleidige Bemerkungen über die Polizei, die Steuergelder verschwendete, indem sie den wilden Äußerungen einiger Verrückter nachspürte. Der Bericht endete mit der Nachricht, dass Miss Keen, die Frau mit den sogenannten übersinnlichen Fähigkeiten, in der Buchhaltung einer örtlichen Bank arbeite, selbst der Name der Bank wurde genannt.

»Den Job kann ich vergessen«, meinte Marlie resigniert.

Danes Hand umfasste die Büchse Bier noch fester. »Ich habe dir doch gesagt...«

»Du hast viel gesagt. Ich weiß aber auch, dass du keine Ahnung hast, wovon du überhaupt redest.«

Er biss die Zähne zusammen. »Zum letzten Mal, ich habe mich nicht mit dir eingelassen, weil ich dich als Köder benutzen wollte.«

»Nein? Und wann genau ist dir dieser außergewöhnlich brillante Plan eingefallen? Das meine ich nicht einmal sarkastisch. Es war eine verdammt gute Idee. Wahrscheinlich wird sie sogar klappen. Aber wann ist sie dir gekommen?«

Er brauchte gar nicht zu überlegen, da er sich genauestens jenes Augenblicks entsann. Wieder entschied er sich dafür, nicht zu lügen. »Im Flugzeug, als ich aus Denver kam.«

Sie zog die Augenbrauen hoch. »Du meinst, am gleichen Tag, als du bei mir auftauchtest und dich richtig an mich rangemacht hast?«

»Ja«, brummte er.

»Die Wahl des Zeitpunktes ist ein wenig verdächtig, nicht wahr?«

»Ich habe dich schon vorher haben wollen, verdammt!« brüllte er. »Aber du warst eine Tatverdächtige, und ich durfte mich nicht mit dir einlassen. Sobald ich keinen Verdacht mehr gegen dich hatte, habe ich an deiner Tür geklopft.«

Sie lächelte. »Und es war reiner Zufall, dass du mich obendrein benutzen konntest, nicht wahr? Ich habe nicht einmal etwas dagegen, es widert mich nur an, dass du unsere persönliche Beziehung benutzt hast, um mich reinzulegen - obwohl diese Affäre für dich gar nicht so persönlich war, oder?«

Ein roter Nebel waberte vor seinen Augen, es war gefährlich, sich von seiner Wut übermannen zu lassen. Er stand auf und verließ das Haus, damit er nichts tat, was er später bedauern würde.

Verdammt, es sah gar nicht gut aus. Wie konnte sie an dem zweifeln, was sie miteinander verband? Er hatte noch nie bei einer anderen Frau solche Gefühle entwickelt, und sie glaubte, sie bedeute ihm weniger als nichts. Er lief auf dem Hof hin und her, die Hitze trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Als er glaubte, sich wieder gefangen zu haben, ging er ins Haus zurück, doch Marlie hatte sich bereits im Gästezimmer verschanzt.

Wahrscheinlich war das auch besser so. Ihrer beider Gemüter waren zu verletzt, um vernünftig miteinander sprechen zu können. Morgen, wenn sie beide die Nacht darüber geschlafen hatten, würde es bessergehen.

Carroll Janes sah sich die Abendnachrichten im Fernsehen an. Also daher wussten sie Bescheid! Ein verdammtes Weib mit übersinnlichen Fähigkeiten. Wer hätte an so etwas gedacht? Damit hatte er nun wirklich nicht rechnen können.

Die Cops schienen allerdings wenig Vertrauen in sie zu setzen - doch er brauchte sie nur anzusehen, und ein kalter Schauder kroch ihm über den Rücken. Und was sie alles sagte, wie konnte sie nur so böse sein? Einen Wurm hatte sie ihn genannt und einen Feigling. Nach dem ersten Augenblick des Schmerzes kam ihm die Galle hoch. Er war also kein Traummann, wie? Was wusste dieses elende Luder überhaupt von ihm?

Eigentlich, so stellte er fest, wusste sie eine ganze Menge. Die Cops glaubten ihr nicht - noch nicht -, doch Tatsache war, dass sie eine wirkliche Gefahr für ihn bedeutete. Sie war ihm so nahe gekommen wie noch nie jemand. Die einzige Möglichkeit, wie sie ihn gesehen haben konnte, war tatsächlich in einer Vision, und dieser Gedanke gab ihm das Gefühl, verdammt verwundbar zu sein.

Ein unerträglicher Verlauf! Wie entehrend wäre es für ihn, nur wegen einer aufgeblasenen Verrückten zu Fall gebracht zu werden! Doch leider war sie nicht verrückt, sondern wirklich hellsichtig. Nur so hatte sie wissen können, wie er aussah.

Er war nicht sicher, solange sie lebte.

Da gab es nur eine Lösung: Diese Frau musste sterben.